Leseprobe 1. Kapitel

1. Humanitäre Notlagen und internationale humanitäre Hilfe
Das Politikfeld der internationalen humanitären Hilfe hat in der weltpolitischen Praxis der letzten Jahre eine immer größere Bedeutung erlangt. Zwar scheint es auf den ersten Blick kein zentrales politisches Handlungsfeld im internationalen System darzustellen, doch gerät es zunehmend in das Gravitationsfeld staatlicher Macht- und Interessenpolitik. Dabei ist die internationale humanitäre Hilfe heute durch ein sehr heterogenes Netzwerk verschiedenster humanitärer, politischer und militärischer Akteure und Interessen gekennzeichnet und von einem Dilemma zwischen moralischem Anliegen und politischen Realitäten geprägt. Als Folge verschiedener krisenhafter (politischer, ökonomischer, sozialer und ökologischer) Entwicklungen hat der weltweite Bedarf an humanitären Hilfsleistungen in den letzten Jahren stark zugenommen. Gleichzeitig haben sich Art und Umfang humanitärer Notlagen geändert.Besonders auffällig ist die zunehmende Notwendigkeit, humanitäre Hilfe im Kontext von bewaffneten Konflikten zu leisten. Hier sind neuartige komplexe humanitäre Notlagen in den Mittelpunkt gerückt, in denen sich private Hilfsorganisationen häufig alleine politisch-militärisch komplizierten Situationen ausgesetzt sehen, für deren Lösung sie weder Mandat noch Mittel besitzen. Obwohl sich die Leistungsfähigkeit der Hilfsorganisationen in den letzten Jahren wesentlich verbessert hat, sieht sich die humanitäre Hilfe angesichts der hier auftretenden Dilemmata regelmäßig in Frage gestellt. Hinter diesen Notlagen verbergen sich grundlegende Strukturprobleme der Weltpolitik – hier vor allem die asymmetrische Verteilung von Entwicklung und Wohlfahrt. Gleichzeitig scheint die humanitäre Hilfe in zunehmendem Maße in vielen Regionen der Welt als Ersatz für ein nachlassendes Engagement der entwickelten Industriestaaten zu fungieren. Wo die Politik versagt bzw. sich zurückgezogen hat, soll die humanitäre Hilfe nicht mehr nur Not lindern, sondern womöglich auch noch Frieden stiften. Mit der zu beobachtenden Entstaatlichung von Konflikten erodiert zudem immer mehr die Befolgung grundlegender Normen des humanitären Völkerrechts und der traditionellen Prinzipien der Durchführung humanitärer Hilfsmaßnahmen. Nicht zuletzt erscheinen einzelstaatliche und internationale Hilfsbemühungen trotz mittlerweile umfangreicher Erfahrungen im Umgang mit humanitären Notlagen unverändert selektiv und improvisiert. Dies steht im Kontrast zu der in Wissenschaft und Politik zunehmend erkennbaren Position, daß neben moralisch begründeten Rechten und Pflichten zur humanitären Hilfe auch ein Recht bzw. sogar eine Pflicht zum Eingreifen in denjenigen Fällen besteht, in denen eine Hilfeleistung verwehrt ist. … [
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